In den letzten Jahren hat sich getreidefrei zu einem echten Schlagwort in der Hundewelt entwickelt. Zahlreiche Futtermarken bewerben ihre Produkte prominent mit diesem Label, und viele Hundebesitzer sind überzeugt, dass getreidefrei die beste Wahl für ihren Vierbeiner ist. Doch was steckt tatsächlich hinter diesem Trend? Ist getreidefrei wirklich gesünder für Hunde, oder handelt es sich um einen geschickten Marketingtrick der Futtermittelindustrie?
In diesem ausführlichen Artikel beleuchten wir den Getreidefreitrend aus allen Perspektiven. Wir erklären die Ursprünge, analysieren wissenschaftliche Erkenntnisse und geben praktische Empfehlungen, damit Sie eine fundierte Entscheidung für die Ernährung Ihres Hundes treffen können.
1. Der Ursprung des Getreidefrei-Trends
Der Trend zum getreidefreien Hundefutter begann vor etwa 15 Jahren und hat seinen Ursprung in mehreren Entwicklungen:
Die Welle der „Natural Diets“
Parallel zur wachsenden Beliebtheit von glutenfreier Ernährung und Paleo-Diäten beim Menschen entstand die Idee, dass auch Hunde von einer „natürlicheren“ Ernährung profitieren könnten. Da Wölfe – die Vorfahren unserer Haushunde – in freier Wildbahn kaum Getreide konsumieren, wurde argumentiert, dass Getreide für Hunde „unnatürlich“ sei.
Der Pet Food-Skandal von 2007
Ein massiver Rückruf von mit Melamin kontaminiertem Tierfutter in den USA führte zu einem tiefgreifenden Vertrauensverlust gegenüber konventionellen Futtermitteln. Viele Hundehalter begannen, nach Alternativen zu suchen und wurden empfänglicher für neue Ernährungskonzepte.
Die Allergie-Theorie
Zunehmend wurden Getreide und vor allem Gluten als potenzielle Allergieauslöser bei Hunden identifiziert. Getreidefreies Futter etablierte sich als Alternative für Hunde mit Verdacht auf Futtermittelunverträglichkeiten.
Marketing der Futtermittelindustrie
Werbemaßnahmen der Futtermittelhersteller haben den Trend erheblich verstärkt, indem sie getreidefreie Produkte als „Premium“ und „natürlicher“ positionierten und oft höhere Preise dafür ansetzten.
2. Was bedeutet „getreidefrei“ eigentlich?
Bevor wir tiefer in die Thematik einsteigen, ist es wichtig zu verstehen, was „getreidefrei“ konkret bedeutet:
Definition getreidefreies Hundefutter
Getreidefreies Hundefutter enthält keine Zutaten aus Getreidesorten wie:
- Weizen
- Mais
- Reis
- Gerste
- Hafer
- Roggen
Womit wird Getreide ersetzt?
Um die nötigen Kohlenhydrate und die Bindung des Futters zu gewährleisten, werden in getreidefreien Produkten typischerweise folgende Alternativen verwendet:
- Kartoffeln
- Süßkartoffeln
- Erbsen
- Linsen
- Tapioka
- Kichererbsen
- Quinoa (botanisch gesehen kein Getreide)
Der Unterschied zwischen „getreidefrei“ und „glutenfrei“
Ein häufiges Missverständnis: Nicht alle getreidefreien Produkte sind automatisch glutenfrei und umgekehrt. Gluten ist ein spezifisches Protein, das in bestimmten Getreidesorten wie Weizen, Gerste und Roggen vorkommt, aber nicht in allen Getreiden (Reis ist beispielsweise glutenfrei).
3. Der Hund als Allesfresser: Was sagt die Wissenschaft?
Um zu verstehen, ob Getreide im Hundefutter sinnvoll ist oder nicht, müssen wir einen Blick auf die Verdauungsphysiologie des Hundes werfen:
Evolution des Hundes
Der Hund (Canis lupus familiaris) stammt vom Wolf ab, hat sich jedoch durch die jahrtausendelange Domestikation deutlich verändert. Eine wichtige Anpassung: Im Gegensatz zum Wolf kann der Haushund Stärke erheblich besser verdauen. Eine Studie aus dem Jahr 2013 im Fachjournal Nature zeigt, dass Hunde im Vergleich zu Wölfen deutlich mehr Kopien des AMY2B-Gens besitzen, welches für die Produktion von Amylase – einem stärkespaltenden Enzym – verantwortlich ist.
Verdauungssystem des Hundes
Obwohl Hunde primär Fleischfresser (Karnivoren) sind, haben sie sich zu fakultativen Karnivoren oder Omnivoren (Allesfressern) entwickelt. Das bedeutet:
- Ihr Verdauungstrakt ist kürzer als der von reinen Pflanzenfressern
- Sie haben einen höheren Proteinbedarf als Pflanzenfresser
- Sie können jedoch Kohlenhydrate, darunter auch Getreide, durchaus verdauen
- Sie produzieren Amylase sowohl in der Bauchspeicheldrüse als auch in geringem Maße im Darm
Kohlenhydratverdauung
Entgegen mancher Behauptungen können Hunde Kohlenhydrate effizient verstoffwechseln. Die Verdaulichkeit hängt allerdings stark von der Verarbeitung ab. Gekochte oder anderweitig aufgeschlossene Kohlenhydrate werden deutlich besser verwertet als rohe.
4. Vorteile getreidefreier Ernährung: Was ist dran?
Befürworter getreidefreier Ernährung führen verschiedene Vorteile an. Betrachten wir diese im Licht wissenschaftlicher Erkenntnisse:
Weniger Allergien und Unverträglichkeiten?
Die Behauptung: Getreide sei ein häufiger Allergieauslöser bei Hunden.
Die Fakten: Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Getreideallergien bei Hunden tatsächlich relativ selten sind. Die häufigsten Futtermittelallergene bei Hunden sind Proteinquellen wie Rind, Huhn, Lamm und Milchprodukte. Gluten-Unverträglichkeiten kommen nur bei bestimmten Hunderassen wie dem Irish Setter häufiger vor.
Bessere Verdaulichkeit?
Die Behauptung: Getreidefrei bedeutet bessere Verdauung und weniger gastrointestinale Probleme.
Die Fakten: Die Verdaulichkeit hängt weniger davon ab, ob Getreide enthalten ist oder nicht, sondern vielmehr von der Qualität der Zutaten und deren Verarbeitung. Hochwertige, gut aufgeschlossene Getreidesorten können sehr gut verdaut werden. Manche der alternativen Kohlenhydratquellen in getreidefreiem Futter können sogar schwerer verdaulich sein.
Gewichtskontrolle?
Die Behauptung: Getreidefreies Futter hilft bei der Gewichtskontrolle.
Die Fakten: Viele getreidefreie Produkte sind tatsächlich kalorienärmer und proteinreicher. Allerdings gibt es auch getreidefreie Produkte mit hohem Fettgehalt und vielen Kalorien. Studien zeigen, dass das Kaloriendefizit der entscheidende Faktor bei der Gewichtsreduktion ist, nicht die An- oder Abwesenheit von Getreide.
Besseres Fell und Haut?
Die Behauptung: Getreidefreies Futter verbessert Fell- und Hautgesundheit.
Die Fakten: Die Verbesserung von Fell und Haut hängt hauptsächlich mit der Qualität der Protein- und Fettquellen sowie dem Vorhandensein bestimmter Mikronährstoffe zusammen, nicht primär mit dem Fehlen von Getreide. Allerdings können Hunde mit spezifischen Getreideunverträglichkeiten tatsächlich von einer getreidefreien Diät profitieren.
5. Potenzielle Risiken getreidefreier Ernährung
In den letzten Jahren wurden auch potenzielle Risiken getreidefreier Ernährung identifiziert, die bei der Futterwahl berücksichtigt werden sollten:
DCM-Risiko (Dilatative Kardiomyopathie)
Seit 2018 untersucht die FDA einen möglichen Zusammenhang zwischen getreidefreiem Hundefutter und DCM, einer schweren Herzerkrankung. Mehrere Studien deuten auf eine Korrelation zwischen bestimmten getreidefreien Diäten und einem erhöhten DCM-Risiko hin. Besonders betroffen scheinen Diäten mit hohem Anteil an Hülsenfrüchten (Erbsen, Linsen) und exotischen Proteinquellen zu sein.
Die genauen Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt, mögliche Faktoren sind:
- Mangel an bestimmten Aminosäuren wie Taurin oder deren Vorstufen
- Anti-nutritive Faktoren in Hülsenfrüchten
- Interaktion zwischen verschiedenen Nährstoffen
Nährstoffmangel
Einige getreidefreie Produkte, besonders solche von minderer Qualität, können Nährstoffungleichgewichte aufweisen. Getreide liefert wichtige Nährstoffe wie:
- B-Vitamine
- Vitamin E
- Ballaststoffe
- Mineralien wie Magnesium und Phosphor
Diese müssen bei getreidefreien Diäten durch andere Quellen ausreichend ersetzt werden.
Höherer Preis
Getreidefreie Produkte sind im Durchschnitt teurer als vergleichbare Produkte mit Getreide. Das höhere Preissegment spiegelt nicht immer eine entsprechend höhere Qualität wider.
6. Für wen ist getreidefreie Ernährung sinnvoll?
Getreidefreie Ernährung kann für bestimmte Hunde durchaus sinnvoll sein:
Hunde mit nachgewiesenen Getreideallergien
Für Hunde mit diagnostizierter Getreideallergie oder -unverträglichkeit ist eine getreidefreie Ernährung medizinisch indiziert.
Spezifische Gesundheitszustände
Bei manchen gesundheitlichen Problemen kann eine getreidefreie, kohlenhydratarme Ernährung hilfreich sein, etwa bei:
- Diabetes mellitus
- Bestimmten Formen von Epilepsie
- Einigen Krebsarten (hier gibt es erste Forschungsansätze)
Individuelle Verträglichkeit
Manche Hunde zeigen subjektiv eine bessere Verträglichkeit und Vitalität bei getreidefreier Ernährung, auch ohne diagnostizierte Allergie.
7. Wie erkenne ich qualitativ hochwertiges Hundefutter?
Unabhängig davon, ob Sie sich für getreidefreies oder getreidehaltiges Futter entscheiden, sind folgende Qualitätskriterien wichtig:
Transparente Deklaration
- Vollständige und detaillierte Zutatenliste
- Klare Angabe der Protein- und Fettquellen
- Deklaration der analytischen Bestandteile
Hoher Fleischanteil
- Fleisch oder Fleischmehl sollte an erster Stelle der Zutatenliste stehen
- Mehrere namentlich genannte Fleischquellen sind vorteilhaft
- Vorsicht bei unspezifischen Angaben wie „tierische Nebenerzeugnisse“
Angemessenes Protein-Fett-Verhältnis
- Für normale, erwachsene Hunde etwa 22-25% Protein und 12-15% Fett
- Für aktive, junge oder arbeitende Hunde entsprechend höhere Werte
Qualität der Kohlenhydratquellen
Bei getreidehaltigem Futter:
- Hochwertige, gut verdauliche Getreidesorten wie Reis, Hafer
- Vollkorngetreide statt raffinierter Varianten
Bei getreidefreiem Futter:
- Hochwertige alternative Kohlenhydratquellen
- Nicht zu hoher Anteil an Hülsenfrüchten
Zusätze
- Sinnvolle funktionelle Zusätze (z.B. Glucosamin, Chondroitin, Omega-3-Fettsäuren)
- Natürliche Konservierung statt künstlicher Konservierungsstoffe
- Keine künstlichen Farb- und Aromastoffe
8. Fazit: Getreidefrei – Trend oder sinnvolle Alternative?
Nach Sichtung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen lässt sich zusammenfassen:
- Getreidefreies Futter ist weder grundsätzlich besser noch schlechter als getreidehaltiges Futter
- Die individuelle Verträglichkeit und die spezifischen Bedürfnisse des Hundes sollten entscheidend sein
- Die Qualität der Zutaten und die ausgewogene Zusammensetzung sind wichtiger als die An- oder Abwesenheit von Getreide
- Für Hunde mit diagnostizierten Getreideunverträglichkeiten ist getreidefreies Futter sinnvoll
- Angesichts der möglichen Verbindung zu DCM sollten Besitzer von prädisponierten Rassen (große Rassen, Dobermänner, Doggen, Irische Wolfshunde etc.) Vorsicht walten lassen und Rücksprache mit ihrem Tierarzt halten
- Eine Futterumstellung sollte immer schrittweise erfolgen und der Hund dabei beobachtet werden
Letztendlich gibt es kein „One-Size-Fits-All“ in der Hundeernährung. Der beste Ansatz ist, auf den eigenen Hund zu achten und zu beobachten, bei welchem Futter er gedeiht, eine gute Verdauung zeigt und vital bleibt.
Wenn Sie unsicher sind, konsultieren Sie immer einen Tierarzt oder einen veterinärmedizinischen Ernährungsberater. Diese Fachleute können Ihnen dabei helfen, die beste Ernährungsstrategie für Ihren individuellen Hund zu entwickeln – mit oder ohne Getreide.